
Fachkräftemangel II: Wünsche, Wirklichkeit, Wirksamkeit
Unser Büro im Freiburger Stadtteil Wiehre befindet sich in einem eher unscheinbaren Gebäude im Hinterhof der Glümerstraße. Für digitale und hybride Streaming-Events haben diese Räume in den vergangenen Jahren schon des öfteren eine neue Gestalt angenommen. Am Dienstag, den 28. Juni wurde dann eine Vorstellung wahr, die wir schon seit über drei Jahren im Kopf hatten: Mit Gästen an einer langen Tafel sitzen, große Schüsseln und Platten mit leckerem Essen (live gekocht von Lukas Frysch), das man sich gegenseitig umherreicht und dabei interessante Gespräche in einer kleinen, vertraulichen Runde führt.
Doch der liebevoll gestaltete Rahmen war kein Selbstzweck. Der Abend im Rahmen unserer Event-Serie „Beyond what’s next?!“ ließ einen lang gehegten Wunsch in Erfüllung gehen. Schon kurz nach dem Einzug in unser Office/Studio hatten wir die Idee, die ausreichend vorhandene Fläche für Dialog-Veranstaltungen zu nutzen, bei denen wir Branchen- und Zukunftsthemen diskutieren und unser Netzwerk in unseren eigenen vier Wänden ins Gespräch bringen.
Fachkräftemangel ist genau so ein Thema. Es begegnet uns überall. Schwimmbäder verkürzen die Öffnungszeiten, Flüge fallen aus, der Italiener am Eck hat drei Schließtage und so weiter.
Auch bei unseren Kunden sehen und hören wir, dass Fachkräfte fehlen. An allen Ecken und Enden wird um Mitarbeitende geworben, und zugesehen, dass man diejenigen, die man hat, bei der Stange hält – mit Benefits wie Fitnessstudio, Tankgutscheinen und Home Office.
Aber was hat es mit Mangel eigentlich auf sich? Was wollen sie eigentlich, die Fachkräfte der Zukunft? Was bewegt sie, sich für den einen Arbeitgeber zu entscheiden und nicht für den anderen?
Und wie wollten wir das hinkriegen: Ein Gespräch auf Augenhöhe, mit Tiefgang, mit der Chance auf echte Erkenntnisse?
Da war sie dann wieder. Die Idee des Beisammenseins, des Austauschs an der langen Tafel.
8 Young Professionals. Abiturient:innen. Student:innen. Berufseinsteiger:innen.
Und 8 Unternehmens-Vertreter:innen: Inhaber, Personalverantwortliche, HR-Profis.
Vertraulich, direkt, ohne Taktieren und ohne (Be-)Werbungs-Hintergrund.
An einem sommerlichen Dienstag-Abend erschienen die angemeldeten Gäste und in einer Runde von 26 Personen (Spielplan4’ler inklusive) begaben wir uns auf eine gemeinsame Lernreise. Beim ersten Gang von Lukas Frysch, serviert als Flying Buffet, kühlen Getränken in der Hand und einer Kennenlern-Runde, unterstützt durch Kärtchen mit provokanten Fragen, lernten sich die allesamt neugierigen Gäste kennen.
Spielplan4-Gründer Florian Städtler startete mit einem 10-minütigen Impuls zum Thema, in dem er drei aktuelle Veröffentlichungen (DIE ZEIT hatte in der aktuellen Ausgabe „Mitarbeiter vermisst“ getitelt) in den Raum stellte. Im Anschluss entspann sich ein lebhaftes Gespräch zwischen den Unternehmensvertretern und den Young Professionals.
Wie im ersten Teaser-Beitrag zur Veranstaltung hier auf dem Blog angekündigt, wollen wir einige Stimmen des Abends mit euch teilen. Da Vertraulichkeit vereinbart war, werden wir im weiteren Verlauf des Textes keine Personen- oder Unternehmensnamen nennen.
Ein erster Gesprächsfaden entstand rund um die im Auftakt-Impuls von Florian formulierte „unglaublich mächtigen Trigger der Convenience“. Diskutiert wurde die Frage, ob die Pandemie diesen Wunsch nach Bequemlichkeit auch bei Mitarbeitenden verstärkt, woraufhin argumentiert wurde, dass Sinnhaftigkeit und Bequemlichkeit manchmal Hand in Hand gingen: Wer nicht ins Büro fährt, spart Zeit und verhält sich klimaschonend.
Eine Teilnehmerin berichtete von ihrem Arbeitgeber, der sich Pandemie-bedingt zwar einer Transformation unterziehen musste (Home Office, Remote Work), aber nach Lockerungen der Corona-Regeln wieder zurück in alte Muster fiel. „Dass jetzt wieder auf Präsenz-Pflicht gepocht wird, finde ich eher schade, weil es ein Job ist, den man auch von woanders aus machen kann.“
Eine andere Teilnehmerin gestand aber auch das Bedürfnis, wieder ins Büro zurückkommen zu wollen. Das – so ihre Aussage – führe bei ihr zu FOMO („fear of missing out“), wenn sie im Home Office ist. Das spreche doch für den Arbeitgeber.
Natürlich wollten die Unternehmensvertreter:innen wissen, was die anwesenden „Youngster“ von einer interessanten Arbeitsstelle erwarten. Die Bandbreite ist groß: Transparenz von Seiten des Arbeitgebers, echte Zusammenarbeit („Teamarbeit, Hilfsbereitschaft“) und die Chance auf „Life Long Learning“, also dauerhafte, vom Arbeitgeber geförderte Weiterbildungen. Als Vorteil wurde auch eine Übereinstimmung der Werte von Team-Mitgliedern genannt, dazu eine „offene Fehlerkultur“.
Nach so viel „Wunschdenken“ konnte sich einer der anwesenden Unternehmersvertreter die durchaus ironische Bemerkung nicht verkneifen, dass die jüngere Generation „ja schon bei der kleinsten Kritik in Burn-out-Gefahr gerät.“
Die Diskussion nahm an Fahrt auf.
Die Vorstellungen der Arbeitsplätze waren wohlüberlegt und auch sehr differenziert: Benefits wie das Fitnessstudio müssen nicht unbedingt sein, wichtiger wäre einem das Mitspracherecht und ein gutes Verhältnis zu seinen Vorgesetzten. Und so hörte man auch die oft formuliert These, man kündige meistens schließlich nicht wegen des Unternehmens, sondern wegen seines direkten Vorgesetzten.
Ein Young Professional aus der Runde bestärkte den aus ihrer Sicht wichtigen Beziehungs-Aspekt: Auf einer Job-Messe letztens habe sie festgestellt, dass viele aus ihrer Gruppe einschließlich sie selbst, eher zu Unternehmen A gehen würden, obwohl Unternehmen B Ähnliches anbiete. Und das nur, weil bei Unternehmen A sympathischere Leute am Stand vertreten waren. In einem waren sich alle anwesenden Youngster einig: Es sei extrem wichtig, dass man in einem Team arbeite, in dem man sich wohlfühlt und eine gute, offene Bindung zu seinen Vorgesetzten hat.
Flexible Arbeitszeiten und eine Lebensphasen-orientierten Arbeitszeit scheinen – wenn man nach den Anwesenden geht – für die Generation XYZ selbstverständlich. Für manche ist eine 40-Stunden-Wochen okay – wenn das Team stimmt. Wichtig ist vor allem, die Option zu haben, die eigene Arbeitszeit so flexibel wie möglich zu gestalten.
Und für immer mehr scheint Geld nicht mehr die höchste Priorität zu haben – Freizeit sei zumindest eine wichtige Alternative. Geld ist ein wichtiger Hygienefaktor, wichtiger war den Jungen aber, dass ihre Arbeit einen Sinn hat. Auch hier ist man durchaus in der Lage, zwischen zwei Typen von „Sinn“ zu differenzieren, so eine anwesende Studierende. Einem „Selbst-Sinn“, also was der Job für einen selbst bringt und einem Sinn für die Gesellschaft. „Idealerweise biete der Job beides.“
Von einer HR-Verantwortlichen wurde darauf hingewiesen, dass auch darin ein Sinn bestände, anderen Menschen einen Arbeitsplatz zu geben. Und dass man in allen berechtigten Gesprächen über Benefits und Ansprüche nicht vergessen dürfe, wie wertvoll es ist, dass durch unternehmerisches Risiko überhaupt Arbeitsplätze geschaffen werden könnten.
Die Jüngste in der Runde erzählte, dass immer gesagt werde, dass sie bei Bewerbungen später unbedingt einen persönlichen Sinn in ihrem Motivationsschreiben benennen solle. Sie wisse aber (noch) nicht, was ihr Gegenüber da hören möchte. Ein weiterer Pluspunkt für die eigene Arbeitsstelle sei die Gemeinschaft: Das Gefühl, etwas gemeinsam mit den Kolleg:innen zu schaffen, etwas auf die Beine zu stellen.
Ein Geschäftsführer aus dem produzierenden Gewerbe merkt an, dass er seinen Mitarbeiter:innen kein Home Office bieten könne. Aber natürlich macht auch er sich seine Gedanken, wie er seine über 1.000 Mitarbeitenden halten und neue anwerben kann. Er erzählt von der Erfahrung, dass es hilfreich gewesen sei, einzelnen Bereichen sehr viel mehr Verantwortung in all ihrem Tun zu geben. „Das schafft Identifikation mit dem Unternehmen“, so seine Beobachtung. „Und ein Geschäftswagen für jeden, der das braucht und will, das funktioniert auch.“
Viele weitere Punkte rund um die attraktive Stelle wurden erwähnt: So arbeitet ein anwesendes Unternehmen systematisch an seinem guten Ruf, der Arbeitgebermarke (englisch: Employer Brand). „Wir haben eine ausgeprägte Freunde-werben-Freunde-Kultur. Das schafft man natürlich nur, wenn sich alle wohl fühlen.“
Und schließlich der erste Eindruck, neudeutsch „Onboarding“: Ein guter Start ist wichtig und das Mitarbeiter-Erlebnis geht schon beim Bewerbungsgespräch los.
Das waren nur einige, wenige Impulse aus einem ausgesprochen lebendigen Gespräch. Wir waren begeistert, wie offen und interessiert die Beteiligten bei der Sache waren. Und, – das ist wirklich selten bei Gruppen-Gesprächen – dass wirklich jede:r Einzelne etwas zur Diskussion beitrug.
Nach einer Stunde wechselten wir von der Diskussionsrunde an die lange Tafel, an der Lukas Frysch uns mit vier weiteren Gängen aus regionalen und frischen Zutaten vegetarisch verwöhnte. Beim Essen ging das Gespräch weiter, es wurden Meinungen vertieft und individuelle Erfahrungen ausgetauscht. Wir danken allen, die dabei waren und wollen das Format der Gespräche an der langen Tafel bald mit einem neuen Thema weiterführen.
Ebenso sind wir interessiert, das Thema (Neue) Arbeit und Fachkräfte in weiteren Formaten zu vertiefen. Oder wie wir gerne sagen: Gespräche führen – mit 4, 40, 400 oder 4000 Menschen.