
Tell it like a good story – oder was wir von Tschechow über gute Eventkonzepte lernen können
Was macht eine gute Geschichte aus? Und was ein gutes Event? Die Millionenfrage. Keine Chance, sie in eine kurze Formel bringen. Wer aber ein wenig mehr Zeit mitbringt, erkennt Prinzipien und Muster, die beim Erzählen von spannenden Geschichten helfen können.
Meine Schwester hat mir kürzlich ein Buch „mit etwas Inspiration aus der Welt des Schreibens darin“ geschenkt. „A Swim in a Pond in the Rain“ von George Saunders erzählt auf wunderbar launige Weise, was gute Storys ausmacht. Als Lehrmaterial stellt er sechs Kurzgeschichten russischer Autoren vor, die für sich genommen schon wahre Schmuckstücke sind, und analysiert, was sie zu einer guten, lesenswerten Story macht.
Von Anfang an fielen mir die Parallelen zur Eventkonzeption auf. Obwohl Storytelling mittlerweile ein alter Hut in der Branche ist, kann seine Rolle nicht kleingeredet werden. Ich war überrascht, dass sich Vieles aus dem Buch weitgehend nahtlos übertragen lässt. Das brachte mich auf die Idee, ein paar dieser Prinzipien zu sammeln und aufzuschreiben. So werden sie vielleicht wiederum Inspiration für wirkungsvolle Eventkonzepte.
Saunders startet mit einer essenziellen Regel:
Volt? Watt? Ohm? Egal, Hauptsache die Leitung steht
Eine gute Erzählstruktur braucht Energie, um die Geschichte voranzubringen. Sie muss Spannung erst erzeugen und in der Folge aufrechterhalten, um Zuhörende bei der Stange zu halten. Es braucht also eine Initialzündung, um diese Energie zu erzeugen. Ein packendes Intro z.B., oder ein Mysterium, das Fragen aufwirft und damit Spannung erzeugt. Aber das ist erst die halbe Miete. Um einen durchgängigen, glühenden roten Faden zu kreieren, muss die Story es schaffen, die Energie vom Anfang in die folgenden Abschnitte zu transferieren, wie durch eine Stromleitung. Geht die Energie verloren, reißt der Faden ab und das Interesse schwindet. Plötzlich stehen alle an der Bar und der Moderator guckt verzweifelt zur Regie.
Aber wie schafft man es, die Energie mitzunehmen? Wie kann so eine Stromleitung aussehen?
Wer logisch knüpft, macht Sinn
Bauen verschiedene Teile einer Erzählung aufeinander auf, entsteht für uns ein Sinnzusammenhang.
„Es war Sonntag, gegen 15 Uhr. Jenna saß unter der Eiche im Garten und träumte von einer eisgekühlten Limonade.“
Diese beiden Sätze sagen nicht viel aus.
„Es war ein heißer, drückender Sonntagnachmittag. Jenna saß unter der Eiche im Garten und träumte von einer eisgekühlten Limonade.“
Plötzlich erzeugen die zwei Sätze Bilder, werden realer. Wir spüren die trockene Zunge, die brennende Sonne, sehen vor unserem inneren Auge das Kondenswasser am Krug herunterlaufen. Dadurch, dass der zweite Satz sich auf den ersten bezieht, entsteht nicht nur ein Sinnzusammenhang, sondern eine Keimzelle, aus der eine Geschichte entstehen kann. Diese übergeordnete Struktur schafft ein Gerüst, an dem eine innere Vorstellung hochranken kann. Das schafft gleichzeitig Vertrauen bei den Betrachtenden: „Was uns hier erzählt wird, ergibt Sinn. Ich kann mich damit identifizieren, weil es sich in die Logik meiner Welt einbauen lässt.“ Durch diese Verknüpfung entsteht eine Stromleitung, die die Energie transportiert und Spannung aufrechterhält.
Bei einem Eventprogramm schafft man diesen Zusammenhang über eine gute Moderation gepaart mit einem kohärenten Konzept. Die Moderation schafft Verbindungen zwischen den einzelnen Teilen, erklärt wie ein auktorialerErzähler die thematische Verknüpfung. Letztere muss natürlich durch die Konzeption bereits angelegt sein. Eine andere Verdrahtungsmöglichkeit ist ein Motto, auf das sich die einzelnen Teile beziehen und das immer wieder auftaucht. Auch hier entsteht wieder Sinn durch die Verknüpfung zu einem großen Ganzen.
Wer „A“ sagt… überrascht alle mit einem cool aus der Hüfte geschossenen „P“
In Sequenzen gibt es sehr erwartbare Folgen, die wir schon oft gehört haben.
„Die schöne Prinzessin saß eingesperrt im Turm des Magiers. Plötzlich kam ein edler Ritter auf einem weißen Ross aus dem Wald.“
Was wird passieren? Natürlich tötet der Ritter den bösen Zauberer, rettet die Prinzessin und sie leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Das ist weder innovativ noch spannend. Was passiert aber mit unserer Erwartung, wenn die Geschichte wie folgt weitergeht ?
„Der Ritter trat auf den Magier zu und sprach: „Ich überbringe euch teure Gaben im Namen des Dorfs. Dank Euch können die Menschen wieder in Ruhe leben, ohne wie Frösche verwirrt in den Fluss zu springen. Lasset sie, o Magier, niemals entrinnen und unsere Dankbarkeit ist Ihnen auf ewig gewiss.“
Indem man sich gerade nicht für die abgedroschene, kitschige und dadurch vorhersehbare Folge entscheidet, so Saunderson, schafft man Raum für etwas Neues, nie Dagewesenes. Und damit die Chance, eine bessere Version seiner Story zu kreieren. Aber nicht nur das: durch überraschende, unerwartete Momente erzeugt man wieder Energie, die die Story voranbringt. Und wenn es besonders überraschend ist, schöpft man vielleicht den Wow-Moment, der ein Event zu etwas Einzigartigem, Unvergesslichen macht. Der Moment, an den sich die Gäste noch Jahre später erinnern.
Du sollst nützlich sein und nicht langweilen!
Jeder Teil einer Geschichte hat eine Aufgabe zu erfüllen. In (guten) Kurzgeschichten – wie denen, die Saunders vorstellt – gibt es keinen Absatz, der ohne Rolle in der Story bleibt; keine Ausschweifung zum Selbstzweck. Denn jeder Abschnitt hat immer mindestens zwei Aufgaben: er muss für sich genommen unterhaltsam sein UND er muss die gesamte Erzählung voranbringen. Ein bisschen wie im Bauhaus: Form und Funktion müssen beide repräsentiert sein und bedingen einander.
Auf diese Art und Weise schafft man auch bei Events eine stringente Erzählung, in der alle Teile auf das Narrativ einzahlen und von sich aus unterhaltend sind. Wenn einzelne, kleine Module nicht den roten Faden weiterspinnen, ist das allerdings weniger schlimm als ein Programmteil, der einen Teil der Erzählung vermittelt, aber nicht unterhaltsam ist.
Die Königsdisziplin hierbei ist der Programmteil, dessen Rolle im Erzählstrang zunächst verschleiert bleibt und sich erst später erschließt.
Wer macht denn so was?!
Ich muss oft an eine Werbung von Evonik aus den 2000ern denken. Man sieht ein kleines Stück Rasen, auf dem ein Handrasenmäher vor und zurückfährt. Dann schwenkt die Kamera nach oben und der Rasenmäher wird länger und länger, bis man sieht, dass er von einem fröhlichen Mann im 1. Stock bedient wird. Dazu kam die provokante Frage „Wer macht denn so was?“. Der Spot lief Monate und machte mich fast verrückt. Bis er dann in einer minimal längeren Version ausgestrahlt wurde, die die Auflösung lieferte: Evonik Industries.
Information Gaps sind genial, wenn sie richtig eingesetzt werden. Man muss es schaffen, dass sich den Betrachtenden eine Frage innerlich förmlich aufdrängt. „Was soll das? Warum bekomme ich diese Information?“ Im ersten Moment entsteht Irritation. Die Zuschauenden wittern Betrug: Hier wurde uns etwas untergejubelt, das keinen Sinn ergibt. Das durch logische Struktur erzeugte Vertrauen wackelt. Die Frage wird im Kopf bleiben und Spannung erzeugen. Selbst, wenn sie nicht mehr bewusst wahrgenommen wird. Und wenn sie dann endlich aufgelöst wird, erzeugt das ein äußerst befriedigendes Gefühl: Man erinnert sich und die zwei Puzzleteile fallen auf ihren Platz.
Dasselbe in grün
Im Normalfall langweilt uns Wiederholung. Spätestens bei der zweiten exakten Wiederholung meldet das Gehirn, dass es das jetzt oft genug gesehen habe und jetzt wieder etwas Neues, Spannenderes an der Reihe sei. Geschickt eingesetzt erzeugt es jedoch so etwas wie ein freudiges Wiedersehen mit einer Freundin, die man länger nicht gesehen hat. Es fühlt sich an wie immer, aber es ist nicht gleich.
Der Unterschied zur monotonen Wiederholung ist Variation. Leichte Abwandlung macht ein Element plastischer und nutzt gleichzeitig die Wiedererkennbarkeit. Das bietet sich besonders für Elemente an, die einen roten Faden schaffen, wie z.B. ein Motto. Wenn man es immer ein wenig anders einbaut, mit unterschiedlichen Medien oder in Variationen, wird es nicht als langweilig empfunden, sondern wie ein Running Gag.
Auch wenn es sich zwischendurch wie ein Arbeitsbuch der 12. Klasse angefühlt hat – Saunders stellt tatsächlich Aufgaben und es gibt einen Anhang mit jeder Menge Übungen – hat mich dieses Buch sehr inspiriert. Nicht nur für meine Geschichten und Events, sondern auch fürs Leben. Und es hat Tschechow und Tolstoi auf meiner Wunschliste ganz nach oben katapultiert!